Dank meiner Untersuchung der Burg von Les-Baux habe ich soeben ein Rätsel lösen können, das mir schon seit längerer Zeit Kopfzerbrechen bereitet. smile

Schon seit längerem hatte ich mich gefragt, welche Funktion diese "Kragsteine" haben könnten, die manchmal bei Bogenkonstruktionen (Rundbögen oder Spitzbögen) angebracht sind, und die man vor allem im Süden Frankreichs häufig findet (besonders häufig in der Stadt Avignon).

Normalerweise werden Kragsteine (sie heißen so, weil sie aus der Mauer hervorkragen, also hervorstehen) dazu verwendet, um darauf irgendetwas aufzulegen. Zum Beispiel Holzbalken von einer Fußboden- oder Deckenkonstruktion, oder auch Erker. Manchmal dienen sie auch als "Konsole", also als Sockel, um darauf eine Statue abzustellen.

Aber die Kragsteine, die man in Avignon sowohl bei der Stadtmauer als auch beim Papstpalast findet (siehe Fotos ganz unten), scheinen keine sinnvolle Funktion zu haben. Bei meiner Suche in Büchern und im Internet habe ich auch keine sinnvolle Erklärung dafür finden können. Die Frage haben sich zwar schon mehrere Menschen gestellt, aber die offizielle Antwort scheint zu sein, dass es nur eine Art Schmuck/Verzierung ist, ohne besondere Funktion. Aber diese Erklärung hatte mir nie besonders gut gefallen. wink


Besonderheiten dieser Kragsteine:
Zum ersten mal sah ich diese Kragsteine bei der Stadtmauer von Avignon, genauer gesagt bei den "échauguette" genannten Türmchen, die an der Mauer zwischen zwei großen Türmen angebracht sind.

Ansicht von vorne:

Ansicht von hinten:


Wahrscheinlich sind diese kleinen Türmchen nachträglich in den Mauerabschnitten zwischen zwei großen Türmen hinzugefügt worden, um die Mauer noch zusätzlich zu verstärken. Um Steine zu sparen, hatte man unten diesen Bogen eingebaut. Er reicht aus, um das Gewicht der erhöhten Wehrplattform zu tragen, verbraucht aber nicht so viel Steinmaterial wie ein "echter" Turm.

Als ich die Kragsteine bei diesen Türmchen zum ersten mal sah (siehe auch Foto Nr. 1 und 2 unten), dachte ich zuerst, dass sie vielleicht als Auflage für einen Galgen-Balken gedient haben könnten. Also dass man Verbrecher als Abschreckung direkt an der Stadtmauer aufgehängt hatte, wo jeder sie sehen konnte.

Gegen diese Theorie spricht jedoch, dass es mittelalterliche Darstellungen der Stadtmauer von Avignon gibt, auf denen KEINE Balken dargestellt sind. Außerdem beginnt die Rundung des Bogens gleich an der Oberkante des Kragsteins. Wäre dort ein Balken angebracht gewesen, so sollte die Mauer zumindest in der Höhe des Balkens einen rechten Winkel bilden (siehe Foto 2). Und außerdem gibt es diese Kragsteine nicht nur an der Stadtmauer, sondern auch am Papstpalast von Avignon (siehe Fotos 3 bis 6).

Wie man am Papstpalast sehen kann, gab es diese Kragsteine sowohl bei Rundbögen, als auch bei Spitzbögen (Foto 3).

Man kann auch ausschließen, dass an diesen Kragsteinen eine Abdeckung (z.B. aus Holz) montiert war, um die Öffnung unterhalb des Bogens abzudecken. Weil am Papstpalast gibt es unter den Bögen manchmal auch Fenster, die bei einer Abdeckung ja verdeckt gewesen wären (Foto 3).

Auffällig ist auch, dass die Kragsteine an der Oberseite immer flach sind. Also optimal als Auflagefläche geeignet. Die Unterseite ist meistens abgerundet, und kann verschiedene Formen haben (konkav oder konvex abgerundet - siehe Foto 4).

Beim Papstpalast kommen diese Kragsteine bei sämtlichen Bögen vor. Unabhängig davon, ob diese Bögen eher niedrig sind, oder sehr hoch sind (Bild 6).


So, und jetzt darf das Rätselraten beginnen, bevor ich die Auflösung (bzw. meine Theorie dazu) hier poste! wink
Also, wozu könnten diese Kragsteine gedient haben?