Ich denke man muss da auch ein wenig vorsichtig sein und nicht alles in Schubladen einordnen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass z.B. Dinge wie Burn-Out sehr schnell inflationär eingesetzt werden. So simpel liegen die Dinge aus meiner Sicht aber nicht - es kann so viele unterschiedliche Gründe für Verhaltensweisen, Krankheiten, Neigungen oder sonstirgendwas geben. Wenn man also meint einem praktischen Oberbegriff gefunden zu haben wäre ich vorsichtig...

Vor allen Dingen sollte man sich von der Normalität verabschieden - sowas gibt es einfach nicht. Wir alle haben keine perfekte Kindheit, keine perfekte Umgebung und sind selber schonmal gar nicht perfekt. Da hat jeder sein eigenes Päckchen zu tragen mit Traumas oder schlechten Erfahrungen im großen wie im kleinen Maßstab. Auch sollte man vielleicht die denkweise ändern - gerade wenn man dann so was wie hier im Thema liest was Asperger angeht. Gewisse Entwicklungen sind nunmal nicht krankhaft oder schlecht (von wirklich krassen Beispiele die in Richtung geistiger Behinderung gehen mal abgesehen), sondern schlicht und ergreifend natürlich. Ich denke gerade die Kindheit ist da sehr stark prägend und so verfällt man in gewisse Schutzreaktionen die nichtmal zwingend logisch oder gar hilfreich sein müssen...

Heute weiß ich zum Beispiel, dass einige meiner Reaktionen auf gewisse Mobbing-Tendenzen mir gegenüber kontraproduktiv waren und mich noch viel mehr zur Zielscheibe gemacht haben. Aus damaliger Sicht waren meine Verhaltensweise aber die einzige Möglichkeit zu reagieren und zum Reflektieren des Ganzen fehlte mir einfach Lebenserfahrung und vor allem der nötige Abstand zum Geschehen. Trotz all dieser Erkenntnisse hilft mir das heute aber auch nur begrenzt weiter, denn gewisse Dinge lassen dann einfach Narben und eingefahrene Verhaltensweisen, Ängste oder was auch immer zurück, wobei "Narben" jetzt vielleicht etwas dramatisch klingt, aber es drückt ganz gut aus was ich meine. So kann ich mir dann auch gewisse Sachen erklären wie zum Beispiel ein Unwohlsein wenn man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. In Bezug damit habe ich halt viele schlechte Erfahrungen gemacht und somit ist es denke ich nur natürlich, dass ich Probleme habe was das angeht. Man sollte sich hier aber nicht entmutigen lassen und auch wenn man die Erfahrungen und daraus falsch gelernten Letionen kaum noch ungeschehen machen kann, so ist das dennoch nicht das Ende der Fahnenstange. Ich hatte zum Beispiel Probleme mit dem Vorträge halten. Klar - man steht voll im Mittelpunkt (was ja auch so schon für niemanden eine alltägliche Situation ist und selbst dann ist Lampenfieber ja eine ganz natürliche Sache) was dann auch noch schwieriger ist, wenn das in der Schule vor der Klasse geschieht wo man diese Situation ja tunlichst vermeiden will. Ich habe da zunächst dann immer wie vom Schüttelfrost getroffen dagestanden und unkontrolliert gezittert und dazu gesellte sich dann passenderweise noch der übliche Fluchtreflex der einem das Denken erschwerte was die ganze Situation dann natürlich noch schwieriger machte. Allerdings hatte ich soviel Selbstbeherrschung, dass ich meinen Vortrag dann trotzdem einfach durchgezogen haben so gut es ging. Rückblickend kann ich da sogar ganz stolz auf mich sein, denn vom zitternden Körper, der zitternden Stimme und dem "Chaos im Kopf" abgesehen habe ich da stets ordentliche Leistungen erbracht die oftmals sicherlich besser war als bei jenen ohne derart erschwerende Umstände (ja, ja, Selbstbeweihräucherung :D). Glücklicherweise kann ich aber sagen, dass ich das in den Griff bekommen habe und heute Vorträgen recht gelassen entgegensehe (vielleicht sogar gelassener als so manch anderer) und auch diese ganzen Ticks im Sinne des Zitterns nicht mehr habe...

Der Grund warum ich das jetzt erzählt habe ist folgender: Nur weil ich diese Probleme hatte sehe ich mich nicht an irgendeinem Syndrom "erkrankt" das soziale Interaktion erschwert (wobei ich weiß Gott auch abseits dieses Beispiels hier durchaus Probleme habe - wahrscheinich teilweise auch durch die genannten Ursprünge entstanden). Ich glaube, um es mal "physikalisch" auszudrücken, an ein Actio und Reactio Prinzip. Wir reagieren auf gewisse Erfahrungen und prägen uns damit. Dabei treffen wir oft nicht die klügste Wahl (falls es sowas überhaupt gibt) weil wir nicht selten auch gar nicht anders können. Das gehört für mich zum Leben dazu und es widerstrebt mir hier "Krankheiten" oder "Syndrome" zu sehen. Die Existenz außerordentlicher "Fehlentwicklungen", die es an sich verhindern, dass sich bestimmte Dinge entwickeln oder möglich sind bestreite ich dabei gar nicht...

Ohne jetzt Firoball zu nahe treten zu wollen, aber so wie ich die Beiträge verstehe geht das aus meiner Sicht in die falsche Richtung. Man ist wer man ist mit all seinen Stärken und Schwächen und sollte es tunlichst vermeiden sich von anderen erklären zu lassen was bei einem suboptimal läuft. Jeder lebt so wie er von den eigenen Erfahrungen geprägt wurde. Da der Großteil von uns ja wohl schon erwachsen ist sollte man an dieser Stelle dann auch in der Lage sein Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und auch über ein Selbstbewusstsein verfügen. So gesehen sollte dann jeder genug Selbstreflexion haben, um die eigenen Handlungsweisen zu überdenken. Daher finde ich auch Firoballs Einstellung (zumindest die, die ich aus seinen Beiträgen herauslese) etwas zu kurzsichtig. Sich von jemand anderem was sagen zu lassen, damit man sein Verhalten anderen gegenüber dann "erklären" kann ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Damit läuft man schnell Gefahr es sich zu leicht zu machen - gerade wenn gewisse Begriffe (Burn-Out war da ein Beispiel) für heute immer schwammigere Begriffe werden. Stattdessen sollte man die eigenen Verhaltensweisen überprüfen und selbst überlegen ob da in der derzeitigen Lebenssituation und den gesammelten Erfahungen heraus eine Änderung am Verhalten angebracht wäre. Wenn man da anderer Meinung ist sehe ich da auch nur wenig Bedarf etwas zu tun - selbst wenn das Verhalten dann ein wenig "atypisch" ist...

Ein Problem wo man sich dann aber wirklich Hilfe suchen sollte ist aus meiner Sicht aber erst dann gegeben, wenn diese Selbstreflexion und Fähigkeit zur Änderung nicht gegeben ist. Wie etwa in dem hier im Thema verlinktem Video des Mädchens mit Asperger: Die beschrieb ja etwa, dass wenn jemand zum Spielen kommt sie das gerne tun möchte, aber nicht kann und sich dann in "Einzelspieler-Aktivitäten" vertieft. Dann ist es sicherlich angebracht Hilfe zu suchen, aber wenn man so ist wie man ist und dann eine Liste mit Punkten die für Asperger sprechen gewisse Übereinstimmungen liest, dann ist das für mich kein Anzeichen eines krankhaften Verhaltens...

Interessant finde ich aber auch Firoballs (EDIT: inzwischen nicht mehr tongue ) letzte Aussage hier (sorry wenn ich jetzt ein wenig auf dir rumreite smile) von wegen einer Suche nach "etwas", die hier sozusagen das Tüpfelchen auf dem i bildet. Das ist doch eine der natürlichsten Sachen von allen! Das ist doch gerade der Antrieb, der uns zur Religion, zur Philosophie und der Frage nach dem Sinn des Lebens führt! Da braucht man keine "professionelle Sichtweise" um sich das erklären zu lassen. Das ist in uns allen fest verankert aber spielt in unserem Alltag halt nur selten eine "gesprächswerte" Rolle, da wir mit dem Leben an sich meist genug um die Ohren haben. Ich denke das kennen wir alle vor allem vom Ende der Pubertät. Zumindest ich habe da ein gewisses Interesse für die Religion / den Sinn des Lebens entwickelt, wobei ich da nur ganz ganz selten mit jemanden drüber gesprochen habe (was wahrscheinlich auch daran lag, dass nachdem mich keine der großen Weltreligionen überzeugen konnte anfing im Esoterik Bereich zu stochern, auch wenn der "Bullshit-Faktor" dort oftmals größer war als bei den Weltreligionen). Im Endeffekt habe ich mir so dann ein eigenes Bild gemacht und würde sogar soweit gehen zu sagen, dass mein Weltbild und Glaube in gewisser Weise "ungewöhnlich" ist, wenn gleichzeitig auch nüchtern betrachtet überraschend logisch, aber das soll hier nicht das Thema werden. So konnte ich aber meine Suche nach dem "Etwas" ein gutes Stück befriedigen / vorantreiben. Ganz los lassen einen solche Fragen natürlich nie, weil es die ultimativ eindeutigen Antworten ja nicht gibt. Zumindest nicht solange dieses Jahr nicht doch noch was heftiges passiert... grin

Last edited by Toast; 01/29/12 23:48.